Schäden Antriebsstrang bei 4x4?

  • Moin,


    hab gestern meinen Jimny bekommen. Er ist mein erstes Fahrzeug mit Allradantrieb.

    Ich bin nun etwas irritiert wegen des Textes im Handbuch auf Seite 3-18, dass Fahren mit 4H oder 4L auf befestigten Straßen schwere Schäden am Antriebsstrang verursachen können.


    Kann mir mal jemand erklären, was passieren kann und warum?


    Gruß Michael

  • Allrad nur bei Schnee Regen oder Matsch rein wenn du es dann brauchst.


    Auf trockener Fahrbahn verspannt der Antriebsstrang.

    Ich bin eigentlich ein netter Kerl.
    Wenn ich Freunde hätte, könnten die das bestätigen!

  • Die Vorderachse wird starr, also ohne Differenzial dazwischen zugeschaltet, so hat man immer eine 50/50 Kraftverteilung, was gerade im Gelände viele Vorteile hat.

    Fährt man jetzt aber auf der Straße z.B. In eine Kurve, so legen die Achsen unterschiedlich lange strecken zurück. Da die Achsen aber starr mit einander verbunden sind, kann der Drehzahlunterschied nicht ausgeglichen werden und der Antriebsstrang baut Spannung auf, die dann nur über das durchdrehen eines Rades wieder abgebaut werden kann. Auf dauer schadet es aber dem Antriebsstrang.

    Jimny GJ C+ Medium Grey, 215x75R15 Geolandar A/T G015, James Baroud Space 140

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  • Aus dem Derk seim Blog...und wirklich gut erklärt:


    Ein weiteres, immer wiederkehrendes Thema im Forum ist der zuschaltbare Allradantrieb. Ähnlich wie schon bei der Freilaufnabe bietet es sich an, diesem Thema einen Blogartikel zur zentralen Zusammenfassung zu spendieren. Fangen wir am Besten gleich mit der Definition an: Beim zuschaltbaren Allradantrieb handelt es sich, im Gegensatz zum permanentenAllradantrieb und dem automatisch zuschaltendem Allrad um ein vom Fahrer manuell betätigtes System, welches als Besonderheit über kein Mitteldifferential oder eine vergleichbare Einrichtung (Lamellenkupplung, etc.) verfügt. Zu finden ist es in Geländewagen und Pickups, die weiteste Verbreitung fand das System in den 80er und 90er Jahren. Der Trend zum SUV hat es mittlerweile weitgehend vom Markt verdrängt, da hier Bedienungseingriffe seitens des Fahrers nicht mehr in dem Maße gewünscht sind.


    Wie funktioniert das Ganze technisch?


    Der Motor verteilt die Kraft über ein zentrales Verteilergetriebe (VTG) auf Vorder- und Hinterachse, wie bei anderen Allradsystemen auch. Im Gegensatz zum permanenten Allradantrieb findet sich jedoch im Verteilergetriebe kein Differential, sondern lediglich eine Kupplung, welche nur die beiden Betriebszustände "offen" und "geschlossen" kennt, keinen Schlupf. Somit können Vorder- und Hinterachse entweder kraftschlüssig verbunden oder komplett getrennt werden. In der gebräuchlichen Auslegung wird die Hinterachse direkt angetrieben, während die Vorderachse dazugeschaltet werden kann - die andere Möglichkeit, die Vorderachse direkt anzutreiben und die hintere bei Bedarf zuzuschalten ist nicht üblich, mit entsprechenden Umbaumaßnahmen lassen sich manche Verteilergetriebe aber dahingehend modifizieren.

    Im VTG enthalten ist in beinahe allen Fällen auch das Untersetzungsgetriebe, welches bei Bedarf die straßentaugliche Übersetzung um den Faktor 1,5-2 (bis zu 4 je nach Modell, oder höher nach entsprechenden Umbauten) reduziert. Dies realisiert auf den Faktor 2 bezogen bei halbierter Raddrehzahl das doppelte Drehmoment am Rad, und macht Steigfähigkeiten von 45 Grad und (rechnerisch) mehr erst möglich. Es wird dabei auch gerne von 12 Gängen oder 10+2 gesprochen, was zwar technisch durchaus richtig ist, aber beim Fahren meistens nicht so genutzt werden kann, da nur sehr wenige Modelle über eine synchronisierte Untersetzung verfügen. Man kann also nicht während der Fahrt zwischen hoher und niedriger Übersetzung wechseln.


    Wo kann ich Umschalten?


    Waren in den Anfängen noch rein mechanische Schaltmöglichkeiten in Form eines zweiten Schalthebels hinter oder neben dem normalen Schalthebel vorgesehen, wurde dies über die Zeit durch elektromechanische Ausführungen verdrängt. Bei den aktuellen Modellen befindet sich irgendwo ein Drehschalter oder Tastensatz im Armaturenbrett, und die eigentliche Betätigung des VTG erfolgt über Stellmotoren. Möglich sind üblicherweise die Einstellungen 2H, 4H, 4L und N. Wie nicht schwer zu erraten ist, beziffert die erste Zahl die Anzahl der angetriebenen Räder, "H" ist die Übersetzung für hohe Geschwindigkeiten, "L" ist die Untersetzung zum langsamen aber kraftvollen Fahren im Gelände. Man sieht schon, dass 2L offensichtlich nicht vorgesehen ist, dies lässt sich aber manchmal über Umwege dennoch realisieren. Die Betriebsanleitung rät meistens davon ab, da das höchstmögliche Drehmoment dann auf eine Achse losgelassen wird. "N" ist der Leerlauf, der aber nicht immer vorhanden ist. Notwendig ist er bestenfalls bei Fahrzeugen mit Automatik, um diese ohne Schäden am Automatikgetriebe abschleppen zu können; Fahrzeuge mit manuellem Schaltgetriebe haben dadurch keine Vorteile, lediglich einen Leerlauf mehr. Aus historischer Sicht konnte man über diese Stellung externe Geräte wie z.B. hydraulische Winden antreiben, aber die Leerlaufwelle ist bei keinem mir bekannten nicht-LKW-Getriebe herausgeführt, nur manchmal ist der Gehäuseflansch noch vorhanden.


    Wann sollte ich umschalten?


    Der ganz entscheidende Punkt dieser Antriebsart ist weiter oben genannt: Es gibt kein Mitteldifferential, Vorder- und Hinterachse drehen im Allradbetrieb immer mit exakt derselben Drehzahl. Das hat keinerlei Nachteile solange man nur geradeaus fährt - in Kurven jedoch legt die Vorderachse einen längeren Weg zurück als die Hinterachse, müsste somit also auch schneller drehen. Durch die feste Verbindung von vorderer und hinterer Kardanwelle im Verteilergetriebe kann sie es aber nicht. Dies hat zwei entscheidende Nachteile auf die Fahrdynamik: Das Einbremsen der Vorderachse in Kurven vergrößert den Wendekreis und lässt das Fahrzeug stark untersteuern, die Rückstellkräfte im Lenkrad sind ebenfalls sehr hoch. Weiterhin ist die Bremskraftverteilung nun auf einmal auch nicht mehr frontlastig, sondern zu gleichen Teilen auf beide Achsen verteilt - die Hinterachse neigt also zum Überbremsen. Zusammenfassend: Zuschaltbare Allradantriebe und Kurven vertragen sich nicht.

    Man muss also abwägen, wann man die Traktionsvorteile wirklich benötigt und wann nicht. Dabei ist noch zu beachten: Auf festem Untergrund benötigt man sie definitiv nicht, denn dort kommen auch alle 2WD-Fahrzeuge problemlos voran. Gleichzeitig kann die Verwendung auf festem Untergrund schwere Schäden am Antrieb nach sich ziehen, wenn es nicht gelingt die durch die Drehzahlunterschiede auftretenden Verspannungen im Antriebsstrang durch Radschlupf auszugleichen. Haften die Räder zu gut, gibt irgendwann ein anderes Bauteil nach - und das kann vom Verteilergetriebe über dessen Aufhängung, den Kardangelenken, den Antriebs- und Gelenkwellen bis hin zur Freilaufnabe einiges an teuren Teilen sein. Manche Hersteller haben für solche Fälle eine Notlöseeinrichtung vorgesehen, die bei zu hoher Belastung (lautstark) überspringt, ähnlich einer verzahnten Rutschkupplung - das ist aber im Sinne einer möglichst guten Kraftübertragung und Geländetauglichkeit kontraproduktiv, da der Allradantrieb gerade in solchen Situationen halten soll.


    Wenn das alles so viele Nachteile hat, was soll man dann damit?


    Es ist - wie oft im Leben - eine Frage des Bedarfs und des Preises. Ein zuschaltbarer Allradantrieb ist zunächst mal billiger als ein Permanenter. Er dient aber im Gegensatz dazu nicht der Verbesserung der Fahrdynamik, sondern er hat lediglich das Durchkommen in schwierigen Situationen zum Ziel. Dafür bedarf es keines Mitteldifferentials - denn das würde sowieso als Erstes gesperrt, um nicht alle Kraft an einem freien Rad verpuffen zu lassen (auch den Umkehrschluss beachten: Ein freies Rad bei drei offenen Differentialen hat eine Schussfahrt zur Folge, wenn man mit der Motorbremse einen steilen Hang hinunter will und ein Rad dabei den Bodenkontakt verliert). Auf losem Untergrund und im Gelände ist der Zuschalt-Allrad mindestens genauso gut und brauchbar wie jeder Andere - und auf der Straße darf man ihn zwar nicht verwenden, benötigt aber auch nicht zwingend vier angetriebene Räder, was die Mehrzahl der PKW mit nur einer angetriebenen Achse beweist. Etwas schwierig wird das bei winterlichen Straßenverhältnissen, wo das Wissen um "ich habe Allrad" eine Überlegenheit über die "normalen" PKW suggeriert. Tatsächlich bezieht sich dies beim Zuschalt-Allrad aber nur auf Anfahren und Durchkommen, die Fahrdynamik ist eher schlechter - das ist den meisten Fahrern dann schlecht zu vermitteln. Die Verbrauchsreduzierung durch das Abschalten nicht erforderlicher Teile ist mehr grüne Kosmetik, tatsächlich resultiert der Verbrauchsunterschied eher aus der Anwendung - mit zugeschaltetem Allrad fährt man nicht allzu schnell (ist auch wenig sinnvoll, ohne Mitteldifferential), in 4L sollte man besser gleich nach Betriebsstunden abrechnen.



    PS: da hat selbst der Pedant nichts dran auszusetzen :thumbup:


    Gruß Pedant

  • Hallo, schau Dir das Video an.

    Passt 1:1 zum Jimny.


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  • Oder die Kurzformel: Wer seine Fahrdynamik auf rutschiger (und auch trockener) Straße verbessern will, greift besser zum permanenten Allradanrieb. Ich habe erst neulich meinen Vitara über (private) kurvige Schneestrecken gejagt, das ist schon ein Erlebnis: Ohne Allrad würde ein vergleichbares Fahrzeug wohl ein ganzes Stückchen früher unter- bzw. übersteuern.


    Der Jimny bietet bei rutschigen Verhältnissen zwar einen großen Traktionsvorteil beim Beschleunigen, ist fahrdynamisch aber einem Fahrzeug mit intelligent gesteuerten Permanentsystem unterlegen.


    Dafür wurde er aber auch nicht gebaut; sein System bietet Traktion auch noch dort, wo manche (nicht alle) Permanentsysteme versagen.


    Eines gilt natürlich für alle Systeme: Die physikalischen Grenzen eines Fahrzeuges lassen sich damit nicht außer Kraft setzen.

  • Vielen Dank für diesen ausführlichen und gut erklärten Beitrag! :thumbup: Der hat alle meine Fragen beantwortet und das eröffnen eines eigenen Beitrags erübrigt!