Heute Nachmittag klingelte es an der Tür. Genervt, weil ich eigentlich
im dreitägigen Urlaub nicht gestört werden wollte und ich außerdem
gerade vorhatte, den Rasen zu mähen, schleppte ich mich in den Windfang
und warf durch die Glasfenster der Haustür einen misstrauischen Blick
auf die zwei Gestalten vor mir.
Ein Mann, vielleicht Ende 20, groß, hager, schlaksig mit Brille und
Pickeln und eine Frau, Ende 30, ziemlich unattraktiv mit einem
prägnanten Leberfleck über der Oberlippe und strenger Frisur. Beide
trugen akkurate, dunkle Anzüge und er eine kleine Aktentasche. Da dort
kein Staubsauger hineinpasste, schwante mir schon, wer da vor mir stand.
Sie: "Guten Tag, mein Name ist (habe schon ich wieder vergessen), und
das ist mein Begleiter, Herr (habe ich mir gar nicht erst gemerkt - ich
und Namen...). Haben Sie Interesse an einem religiösen Gespräch?"
Er lächelt dümmlich
Ich: "Ach, sind Sie die Gemeindepastoren? Wir wurden uns tatsächlich noch nicht vorgestellt."
(Stimmt sogar, ich wohne seit über 13 Jahren in diesem Dorf, aber ich
habe den Pastor nie kennen gelernt, ich weiß nicht mal, wie der Kerl
heißt. Ist mir auch egal, bin ja kein Christ.)"
Sie verlegen: "Äh, nein. Wir sind die Zeugen Jehovas, die Soldaten des Himmels."
Ich: "Soldaten des Himmels?"
Beide nicken eifrig
Ich: "Boah, da haben Sie aber einen verdammt weiten Weg zur Kaserne..."
Beide gucken mich doof an
Ich schnell, um sie nicht zu Wort kommen zu lassen:
"Wieso Soldaten, ist denn Krieg?"
Er holt Luft und setzt an etwas zu sagen
Ich: "Ach so, Sie sind bloß das Rekrutierungskommando."
Sie noch immer blöd guckend:
"Äh... dürfen wir vielleicht hereinkommen?"
Ich: "Gut, wenn es nicht so lange dauert. Mein Rasen mäht sich nicht von alleine."
In der Tat wollte ich eigentlich lieber den Rasen mähen, als diese
beiden Witzfiguren klingelten. Aber warum soll man sich nicht ein wenig
Spaß gönnen...?
Ich halte also die Tür auf und bitte sie ins - zugegebenermaßen etwas
unaufgeräumte - Wohnzimmer. Als erstes fallen meine beiden Rottweiler
(Thor und Loki) über sie her - freudig, denn sie tun niemandem etwas,
sondern freuen sich über den Besuch. Die beiden Zeugen werden noch
blasser als sie ohnehin schon waren.
Ich beruhigend: "Keine Angst, die Beiden tun Euch nichts..."
Dass ich bei diesen Worten absichtlich nicht die Zeugen, sondern meine
Hunde angesehen habe, haben die Beiden leider gar nicht mitbekommen.
Schade...
Stocksteif lassen sie sich also die Hände abschnüffeln, dann rufe ich
Thor und Loki - absichtlich mit Betonung ihrer heidnischen Götternamen –
zur Ordnung, schicke sie auf ihre Matten in der Ecke und lasse sie
Platz machen. Widerwillig gehorchen sie.
Er noch immer nervös, aber um Höflichkeit bemüht:
"Die hören aber gut."
Ich: "Ja, aufs Wort. Zwar erst so auf das dritte oder vierte, aber
immerhin. Aber sie sind auch die Einzigen hier, die das tun..."
Mit diesen Worten scheuche ich den Kater vom Sofa und bedeute den
Beiden, sich zu setzen. Das tun sie auch, allerdings sitzen sie nur
wenig entspannt da, den Blick nicht von den Hunden lösend.
Thor starrt aufmerksam zurück, Loki beschäftigt sich damit, Thor
intensiv das Ohr auszulecken. Die langen und feinen weißen Haare des
Türkisch-Angora-Katers Yeti werden sich auf ihren dunkeln Anzügen gut
machen.
Ich: "Möchten Sie vielleicht einen Tee?"
Sie: "Sehr gern."
Er: "Das wäre sehr freundlich."
Ich nicke und verschwinde in der Küche. Sofort springen die Hunde auf
und wuseln mir hinterher. Das tun sie immer, wenn ich in die Küche gehe.
Das ist aber auch nicht schlimm, so haben die Besucher Zeit, sich etwas
umzusehen. Ich weiß, dass sie auf Anhieb die kindgroßen
Gargoyle-Statuen, die Feuerschale und den Dolch auf dem Tisch, meine
Kelche in der Vitrine und vor allem das 30 cm große Eisenpentagramm im
Fenster bemerken und sich ihre Gedanken machen.
Drei Minuten später kehre ich mit den dampfenden Teetassen auf dem
Tablett, den Hunden im Schlepptau und meinem zurechtgelegten Konzept
zurück. Ich schicke die Hunde wieder auf ihre Matten und stelle den
Zeugen ihre Tassen hin. Sie bedanken sich artig. Ich setze mich auf das
andere Sofa.
Sie: "Glauben Sie an Gott?"
Ich deute lachend in die Runde:
"Sieht das hier etwa so aus, als ob ich das täte?"
Sie zeigt auf das Pentagramm:
"Ähm... nun ja, ich dachte mir so etwas schon, wenn Sie hier ein Teufelszeichen aufhängen."
Ich pruste fast meinen Tee über den Tisch:
"Teufelszeichen? Sie sollten noch mal zur Schule gehen. Wenn ein
Pentagramm mit der Spitze nach unten zeigt, dann ist es ein Zeichen für
das Böse, vielleicht auch für den Teufel, ebenso wie ein umgedrehtes
Kreuz. Mein Pentagramm zeigt aber mit der Spitze nach oben. Somit ist es
ein Zeichen des Guten, es Lebens, der Magie und des Schutzes. Und
dieses Zeichen ist schon sehr viel älter als das Kreuz oder das
Christentum. Es schützt mein Haus vor schlechten Einflüssen - zum
Beispiel von Leuten wie Ihnen."
Sie ist sprachlos
Er hilflos: "Nur Jesus kann die Menschen beschützen. Er ist für unsere Sünden gestorben."
Super Vorlage für mich! Ich springe sofort darauf an.
Ich: "Woher weiß Jehoshua ben Joseph denn von meinen Sünden?"
Sie guckt mal wieder blöd: "Wer?"
Ich: "Na, Jehoshua ben Joseph von Nazareth, der später Jesus Christus
genannt wurde. Sagen Sie bloß, als Zeugen Jehovas kennen sie Jesus'
bürgerlichen Namen, seinen wahren Namen, nicht? Wer hat Sie denn
ausgebildet?"
Beide gucken blöd
Ich werde gerade warm:
"Aber mal angenommen, es habe die christliche Mythengestalt tatsächlich
gegeben, woher soll er vor knapp 2.000 Jahren gewusst haben, welche
Sünden ich begehen werde? Von denen, die noch vor mir liegen, weiß ja
selbst ich noch nichts."
Er verlegen: "Jesus ist allwissend."
Ich: "Aha, jetzt ist er schon ganz der Papa, wie? Ich dachte, dieses Attribut sei Gott vorbehalten?"
Sie will die Situation retten:
"Gott ist allwissend, und durch ihn sein Sohn Jesus Christus auch."
Ich: "Soso, der Alte quatscht also einfach meine persönlichen Daten an
seinen Sohnemann weiter. Etwa auch die, die ich ihm früher bei der
Beichte anvertraut habe? Er verstößt gegen seine eigene Regel, das
Beichtgeheimnis?"
Beiden steht der Mund offen
Ich schnell: "Allwissenheit für die Zukunft wurde aber nachweislich
schon von namhaften Physikern ad absurdum geführt. Nehmen Sie nur mal
Schrödingers mathematisch beweisbare Theorie von den Varianzen des
Zeitstrahls, welche, bedingt durch die Chaostheorie, zu einer
unendlichen Vielfalt möglicher Zukünfte führen und das Kontinuum in
endlose unterschiedliche Varianten aufspalten. Das macht jede exakte
Zukunftsvorhersage absolut unmöglich, da sich nicht berechnen lässt,
welche der unendlichen möglichen Parallelen des Multiversums der
Zeitstrahl kreuzen wird."
Beide schauen drein, als hätten sie kaum ein Wort verstanden
Ich sie sehr ernst anschauend:
"Auch als Magier kann ich nicht exakt in die Zukunft schauen, sondern
allenfalls Tendenzen und Wahrscheinlichkeiten bei der Divination
erkennen, und ich bin schon der mächtigste Magier hier in der Gegend -
wenn ich es nicht wäre, wüsste ich das bereits."
Beide tun das, was sie am besten können - nun aber erst recht: blöd gucken
Ich: "Tja, so was lernt man nicht bei Ihrem Kegelverein, oder?"
Sie: "Den 'Kegelverein' verbitten wir uns! Wir sind..."
Ich unterbreche sie:
"Wieso? Sie schmeißen doch wahllos die Kugeln ihrer Propaganda ins Volk
und schauen dann, ob nicht ein paar Leute umfallen. Für mich ist das
Kegeln."
Sie scheint sauer zu sein:
"Ich sehe schon, hier können wir nichts mehr retten."
Ich nickend: "Gut erkannt. Ich will auch gar nicht 'gerettet' werden."
Beide stehen auf
Sie: "Danke für den Tee."
Er nickt
Ich: "Gern geschehen. Es macht immer wieder Spaß, Leute über die wahre Natur des Universums aufzuklären."
Ich begleite sie zur Tür. Die Hunde tapsen artig hinterher.
Er scheint nun auch sauer zu sein:
"Jesus wird Sie nicht retten, sondern Ihre Seele verdammen."
Sie nickt beifällig
Ich:
"Oh, Sie wollen MIR drohen? Nun gut, dann muss ich mich wehren."
Tiefe Stimme und ausladende Gestik:
"Ich verfluche Sie beide! Für den Rest des Tages sollen Sie schrecklichen Durchfall erleiden!"
Beide machen kopfschüttelnd, dass sie wegkommen: "So ein Unsinn..."
Ich schließe die Tür und lache erst mal lauthals los. Meine Hunde gucken
mich treudoof und verständnislos an. Ich glaube nicht, dass die beiden
'verfluchten' Zeugen jemals wiederkommen werden.
Obwohl, ich hätte zu gern ihre Gesichter gesehen, wenn die überaus
großzügig bemessene Portion Abführmittel in ihrem Tee zu wirken
beginnt...